Allgemein

Nervenkampfstoffe gehören nach ihrer chemischen Struktur zu den Estern und Phosphor und Phosphorsäure (Organophosphate), weshalb sie auch als Organophosphatkampfstoffe bezeichnet werden. Neben den unten aufgeführten Verbindungen zählen auch einige Insektizide zu den Phosphororganischen Verbindungen, wie Wofatox, Delicia-Präperate oder Bi-58. Außerdem gehören mehrere Medikamente zur Gruppe der Organophospahte. Aufgrund ihrer primär biologischen Wirkung, zählen sie zur Gruppe der neuroparalytisch wirkenden Kampfstoffe. Die unten aufgeführten Kampfstoffe wirken jedoch deutlich stärker als die genannten Insektizide oder Medikamente.

Intoxikationsformen

Organophosphatkampfstoffe können über die Athenwege (inhalativ) oder durch die Haut (perkutan) in den Körper aufgenommen (resorbiert) werden . Allgemein kann man sagen, dass man die doppelte Menge an G-Kampfstoff (z.B: GA, GB oder GD) benötigt um über die Haut den selben Effekt zu erzielen wie er bei der Inhalation auftritt. Bei V-Kampfstoffen unterscheidet sich die Menge zwischen dem durch die Haut wirkenden Kampfstoff im Vergleich zu dem durch die Athenwege wirkenden Kampfstoff nur um etwa die Hälfte. Gasmasken allein bieten aus diesem Grund gegen Organophosphatkampfstoffe keinen erfolgreichen Schutz, da der Kampfstoff über die Haut wirkt. Eine letzte Möglichkeit, wie der Kampfstoff in den Körper gelangen kann, ist über den Verdauungsweg. Die hierbei zum Tode führende Menge liegt deutlich unter der durch Inhalation zum Tode führende Menge.

Bekannte nervenschädigende chemische Kampfstoffe

Diisopropylfluorphosphat DFP   C6 H14F  O3 P

 250 mg/m³ x min

Ethyldimethylamidocyanphosphat GA Tabun C5 H11N2O2P 200 mg/m³ x min
Isoprpylmethylfluorphosphat GB Sarin C4 H10F  O2P 85 mg/m³ x min
Pinacolylmethylfluorphosphat GD Soman C7 H16F  O2P 40 mg/m³ x min
Cyclohexylmethylphosphonofluoridate GF   C7 H14F  O  P

30 mg/m³ x min

O-Ethyl-S-N.N-diisopropylaminoethyl-methylthiolphosphonat VX   C11H26N O2P S 10 mg/m³ x min
O-Ethyl-S-N.N-diethylaminoethyl-methylthiolphosphonat VM   CH22N O2P S 20*mg/m³ x min
O-Ethyl-S-N.N-diethylaminoethyl-ethylthiolphosphonat VE   C10H24N O2P S 20*mg/m³ x min
O-Ethyl-S-N.N-diisopropylaminoethyl-ethylthiolphosphonat VS   C12H28N O2P S 20*mg/m³ x min
O.O-Ethyl-S-N.N-diethylaminoethyl-thiolphosphat VG Amiton C10H24N O3P S 25*mg/m³ x min
Botuolinustoxin A (X / XR) und B (siehe auch B-Waffen -> Botulismus) BTX   C31H42N2O6 1*mg/m³ x min
Methylfluorphosphorsäurecholinester

 

Tammelin´sche Ester C3 H7 F N O2P R1

unbekannt

Bicyclischephosphorsäureester     C4 H6 O3 (R2) (R3) 250*mg/m³ x min

Spalten:1.:chemische Bezeichnung;2.:Granatenbeschriftung nach NATO-Norm;3.: Zusätzliche militärische Bezeichnung;4.: chemische Summenformel;5 Durchschnittlich tödliche Dosis (LD-50);
(*)=geschätzter Wert 
(R2=PO/PS)   (R3=
CH3 / C2H5 / C3H7 / CH(CH3)2 / CH2OH)

Wichtigste Vertreter der Organophosphatkampfstoffe

Die wichtigsten Vertreter der nervenschädigenden Kampfstoffe sind Tabun, Sarin, Soman (flüchtig) sowie VX (sesshafft), als giftigster Vertreter der V-Kampfstoffe und aller anderen bekannten Kampfstoffe. Die Kampfstoffe der Trilongruppe [Sarin (GB / GC / GE / GF ), Soman (GD) und Tabun (GA)]  hingegen sind die giftigsten Vertreter der Organophosphatkampfstoffe, welche relativ flüchtig sind, so dass ihr Einsatz dem schnellen Vorstoß von Bodeneinheiten nicht groß im Wege steht.

Geschichte

Otto Bayer von den I.G. Farben beauftragte 1934 Gerhard Schrader organische Säurefluoride auf ihre Verwendbarkeit als Schädlingsbekämpfungsmittel zu untersuchen. Da man recht schnell die enorme Giftigkeit dieser Stoffe entdeckte, galten sie für Insektizide als ungeeignet. Schrader befasste sich nun mit der Synthese von Estern und Amiden der Phosphorsäure. Diese sollten als Weichmacher und Quellmittel für Kunststoffe verwendet werden, jedoch wurden sie nach wie vor auf ihre Wirksamkeit als Insektizide überprüft. 
Am 23. Dezember 1936 produzierte Schrader Ethyldimethylamidocyanphosphat. Bei der Standardüberprüfung als Insektizid traten bei Schrader selbst Atemnot und  Sehstörungen auf, so dass man die Toxikologie des Stoffes genauer erforschte. Nach Vorschrift wurde die Entdeckung dem Heereswaffenamt gemeldet. Um die Entdeckung nicht anderen Staaten Preis zu geben wurde der Stoff als Insektizid namens Taboon oder Gelan deklariert, woraus der spätere Name des Organophosphats stammt: Tabun.
In die Massenproduktion ging der Stoff unter dem Namen Trilon 83, so dass er im Ausland als Textil und Färbehilfsmittel angesehen wurde.
Schrader hatte sich währenddessen mit einer Weiterentwicklung des Kampfstoffes befasst, um dessen Hitzebeständigkeit zu verbessern. Das 1938 fertiggestellte Produkt seiner Bemühungen war der unter dem Tarnnamen Trilon 46 eingeführte
Organophosphatkampfstoff Sarin, dessen Name sich aus Schrader-Ambros-Ritter und Linde zusammensetzen soll, welch neben ihm die an der Kampfstoffentwicklung beteiligten Wissenschaftler waren.
Der letzte Kampfstoff, welcher zu der heute sogenannten Trilongruppe gehört, ist Soman. Dieser wurde 1944 vom Nobelpreisträger Richard Kuhn entwickelt.
Ab 1940 liefen in England und ab 1942 auch in den USA Forschungen an Organophosphatkampfstoffen. Der erste
Organophosphatkampfstoff der Anti-Hitler-Alianz war das 1945 in geringen Mengen gelagerte DFP.

Wirkungsweise

Organophosphatkampfstoffe lagern sich an das Ferment Cholinesterase ab. Dieses ist notwendig, um das bei der Übertragung von Reizen im Nervensystem entstehende Azetylcholin abzubauen. Bei dem einwirken von Organophosphatkampfstoffen auf das Ferment Cholinesterase ist dieses in seiner Aufgabe gehemmt, so dass Nervenreize nicht mehr abgebaut werden können. Dies führt zu den typischen Vergiftungserscheinungen von Organophsophatkampfstoffen.
Als Ausnahme ist hierbei das Botulismus Toxin zu erwähnen, welches die Produktion von
Azetylcholin verhindert, und so zu Lähmungen führt.

Vergiftungserscheinungen

Die Vergiftungserscheinungen ordnen sich in drei verschiedene Schwerengrade. Jeder schwerere Grad der Vergiftung erzeugt zusätzliche Symptome. Die Vergiftungssymptome der hier vorher angeführten Vergiftungsstufen, welche bei geringeren Dosen von Organophosphatkampfstoffen auftreten, bleiben weiterhin bestehen. Die Vergiftungsformen werden miosische Form, bronchophosphatishe Form und konvulsive Form genannt.

 

miosische Form 
(leichte Vergiftung)

bronchophosphatishe Form 
(mittelschwere
Vergiftung)

konvulsive Form
(schwere
Vergiftung)

  • Pupillenverengung (Miosis), behindertes Sehen bis zu Schmerzen in den Augen
  • Speichelfluss, dünnflüssiges Nasensekret
  • leichte Atembeschwerden, Druckgefühl im Brustraum
  • leichte Spasmen im Magen-Darm-Bereich
  • Kopfschmerzen
  • Schweißausbrüche
  • Allgemeine Schwäche
  • Fortbestehen der Miosis
  • Verstärkung der Atembeschwerden, Behinderung der Ausatmung (Bronchospasmus), Sekretabsonderung in den Bronchien
  • Übelkeit, Magen-Darm Krämpfe, Durchfälle mit unwillkürlicher Stuhlabgabe sowie Harndrang
  • vereinzelte Muskelzuckungen der willkürlichen Muskulatur
  • Abhusten von Bronchialsekret
  • Schwindel
  • psychischer Erregungszustand
  • eventuell Tod durch Ersticken
  • Verstärktes Auftreten der Erscheinungen der bronchophosphatishen Form
  • Schüttel- und Starrkrämpfe  (Konvulsionen) mit Übergang zu Lähmungen
  • eventuell Bewusstlosigkeit
  • Schockzustand
  • Tod

Die Stadien treten hintereinander auf. Etwa 70% der Vergifteten leiden führ Gewöhnlich an den Symptomen der mittelschweren und schweren Vergiftung. Bei sehr guter medizinischer Versorgung bleiben die Verluste bei 50%.  Einen Vergifteten gilt es, um die Menge des aufgenommenen Kampfstoffes nicht weiter anwachsen zu lassen, aus dem vergifteten Gebiet zu entfernen. Der Tod tritt bei Organophosphatkampfstoffen zumeist durch Ersticken oder Herz-Kreislaufversagen ein, da sich Atmung und Herzschlag verlangsamen, bis sie schließlich ganz zum Erliegen kommen. Der Tod tritt oft innerhalb der ersten Stunde ein.

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